DAS IST KADGAMALA
MEHR ALS NUR EIN SPORT
VON TIMO HERZBERG | 4. DAN KADGAMALA MARG
Das Kadgamala ist eine Symbiose aus traditionellen Kampfkünsten, Methoden und modernen Systemen sowie aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Sport- und Neurowissenschaft.
Gegründet wurde der Kadgamala Karatestil 1979 von Shihan (Großmeister) Geert J. Lemmens. Das Kadgamala versteht sich als Bindeglied zwischen Tradition und Moderne. Die traditionellen Werte der Kampfkunst bleiben erhalten während der Unterricht nach modernen Erkenntnissen und Methoden durchgeführt wird.
Das Wort „Kadgamala“ stammt aus dem Sanskrit und bedeutet soviel wie bewegliche und treffende Waffe. Im Kontext dieses Kampfkunststils ist die Bedeutung fliegender, treffender Speer (Germanisch: Ger).
DIE ANFÄNGE DES
KADGAMALA
Geert J. Lemmens begann seine Kampfkunstlaufbahn 1964 im Alter von 19 Jahren im Antwerp Karate Club (Belgien), kurz AKC, mit Jiu Jitsu unter François van Haesendonck. Im Anschluss an das wöchentliche Jiu Jitsu Training nahm er am Karate Training von Leo Aarts teil, ein Meisterschüler van Haesendoncks. Die Säulen Kihon, Kata und Kumite sind ebenso Bestandteil im Kadgamala wie die Philosophie und das Wertesystem des Karate Do. Das Kadgamala ist ein kämpferisch orientierter Kampfkunststil.
Lemmens selbst galt in den 60er und 70er Jahren als einer der weltbesten Karatekämpfer. Er war bekannt für seine blitzschnellen und furchtlosen Angriffe sowie seine gefürchteten Fußfeger. Noch heute zählen Lemmens Schüler zur internationalen Kämpferelite. Die Bestandteile Kihon und Kata dienen im Kadgamala ausschließlich dem Zweck, sich selbst zu perfektionieren und unterliegen dem Ziel, sich im Kumite, dem Kampf, und der Selbstverteidigung zu perfektionieren. Der Kampf wird in dieser Stilrichtung im eigentlichen Sinne verstanden als auch im übertragenden Sinne, als Kampf im täglichen Leben und mit sich selbst. Neben van Haesendonck und Aarts zählen Satoshi Miyasaki, Taiji Kaze und Jon Bluming zu seinen Karate-Lehrmeistern. 1968 legte Lemmens seinen Shodan bei Satoshi Miyasaki in Belgien ab.
1972 HAMBURG
Im September 1972 kam Lemmens nach Deutschland. International hatte er sich als Weltklassekämpfer einen Namen gemacht und wurde nach Hamburg bestellt, um im Budo Club Nippon (BCN) die Stelle als Karate-Cheftrainer anzutreten. Lemmens unterrichtete täglich mehrere Stunden Karate und betrieb ab 1976 gemeinsam mit seiner Frau Vera Lemmens-Dua einen Budo Shop. Der BCN war Anfang der 1970er Jahre mit weit über 1.000 Aktiven eines der größten Kampfkunstcentren deutschlands. Neben Karate bot der BCN auch Judo, Aikido und Yoga an. Der angestellte Yoga-Lehrer war ein in Deutschland studierender Inder namens Arun Achappa. Lemmens und Achappa freundeten sich an und brachten sich gegenseitig ihr Wissen bei. Lemmens lernte Yoga bei Achappa und Achappa Karate bei Lemmens. Diese Verbindung sollte für die Entwicklung des Kadgamala von großer Bedeutung sein.
Mittlerweile hatte sich Lemmens vom Karate-Wettkampf distanziert. Das einst glorreiche Karate Kumite der Blood-And-Guts-Era – der goldenen Ära des Kumite – welches Lemmens so liebte und lag, hatte sich verändert und wurde massentauglicher gemacht. Die massenhafte Versportlichung des Karate verwässerte die Technik und die Intention des Kampfes. Wo vorher Kontakt für einen vollwertigen Treffer die Voraussetzung war, wurde jeglicher Kontakt von nun an verboten.
LEMMENS IST WAKO
KICKBOXPIONIER
Aufgrund der übermächtigen japanischen Lobby und internationalen politischen Ungerechtigkeiten wendete sich Lemmens vom Karate Wettkampf ab und richtete seinen Fokus auf eine andere Entwicklung, die für ihn unter den neuen Bedingungen weitaus sinnvoller war. Das All Style Karate, welches der Vorläufer vom späteren Full Contact und damit des westlichen Kickboxens war, bekam in den USA und in Europa immer mehr Aufmerksamkeit. Diese Entwicklung mündete 1977 in die Gründung der WAKO, der World All-Style Karate Organization. Lemmens war Mitgründer der WAKO, der heute als der größte Kickboxverband mit Amateurstrukturen weltweit gilt.
GEBURTSTUNDE DES KADGAMALA
1979 kreierte Lemmens seinen eigenen Stil als Ergebnis seiner Erfahrungen und den Entwicklungen der vergangenen Jahre. Lemmens fand sich weder im gegenwärtigen Karate noch im Kickboxen wieder. Sein Verlangen befand sich dazwischen. Die Ästhetik, die Kunst, der Weg des Karate Do sowie der sportliche, faire und spannende Wettkampf im Kickboxen. Sein Karateunterricht unterschied sich mittlerweile enorm von der ursprünglichen Form. Er war berüchtigt für seine, für damalige Verhältnisse, fortschrittliche Trainingsmethodik und Didaktik. Seine Karateschüler sprangen Seil, boxten und traten gegen Boxpratzen und Sandsäcke. Der Aufbau seines Unterrichts war grundlegend verschieden von der monotonen Art und Weise, die er selbst jahrelang lernte. Außerdem lies Lemmens Elemente aus dem Yoga in sein Karatetraining mit einfließen, was damals nahezu undenkbar war. Lemmens erkannte die enormen Vorteile, die seine Schüler durch die Yoga Übungen hatten. Yoga war der weiche Kontrast zum harten, phyischen Karatetraining, wodurch seine Schüler auch geistige Ausgeglichenheit genossen. Es brachte nicht nur Abwechslung in seinen Unterricht, sondern auch Erfolg. Er brachte viele erfolgreiche und nachhaltig gesunde Wettkämpfer und Kampfkünstler hervor.
Ende der 80er Jahre kam eine weitere indische Methode zum Kadgamala hinzu. Durch seine Indienreisen lernte Lemmens Mohammed Chiramal Sherif kennen, der nicht nur sein Lehrer sondern auch sein bester Freund werden sollte. Sherif war Lehrer und Experte im Kalarippayatu, einer indischen Kriegs- und Heilkunst. Fasziniert von den enormen Auswirkungen auf seinen Körper und Geist, nahm Lemmens das Kalarippayatu in seinen Stil auf und stellte es als erstmals in Europa vor. Lemmens wurde von der Kerla Kalarippayatu Academy Kannur zum Großmeister des Kalarippayatu ernannt.
Das Kadgamala setzt sich aus Elementen verschiedener Kampfkünste und Systeme zusammen: Karate, Ju Jitsu, Boxen, Kickboxen, Yoga und Kalaripayat. Das Alleinstellungsmerkmal des Kadgamala ist die Symbiose dieser Komponenten, die als in sich greifende Einheit funktionieren. Der Unterricht im Kadgamala ist ganzheitlich. Das Prinzip des Gleichgewichts – Mäßigkeit und Harmonie -, ähnlich dem Yin Yang, ergänzen sich die verschiedenen Bestandteile und bringen die anderen Bestandteile mit voran. So bringen Yoga und Kalaripayat dem Kadgamala-Schüler körperliche und mentale Fitness auf ganzer Ebene. Karate liefert das Do, den Weg, ein tragkräftiges Fundament mit wertvollen Werten und Philosophien. Das Boxen und Kickboxen bietet dem Übenden die Möglichkeit sich im Wettkampf zu üben (Training) oder sich im Zweikampf (Wettkampf) zu messen.
DIE BEDEUTUNG DES WORTES
KADGAMALA
Lemmens bat seinen Freund und Yoga-Lehrer Arun Achappa einen indischen Gelehrten (Sadhu) mit der Namensgebung zu beauftragen. Die Bedeutung des Begriffes „Kadgamala Marg“ beschrieb Arun Achappa am 1. Juni 1980 in Mysore, Indien:
„Der Weg des Speeres bedeutet im Sanskrit: Kadga Mala Marg.
Lassen Sie mich erklären: Das Wort für Waffe 1 Kadga“ ist der erste Teil. ‚Kadga‘ heißt aber nicht nur Waffe, es hat zusätzlich die Bedeutung von ‚Wirkung zeigen‘ – wie es sich zum Beispiel bei Blitz und Donner verhält: Wenn es blitzt, dann sieht man es nicht nur, sondern kurz darauf hört man es auch. So meint das Wort ‚Kadga‘ nicht nur die Waffe als solche, sondern impliziert auch die eigentliche Tat, das Treffen der Waffe.
Im Sanskrit haben Begriffe einen Interpretationsspielraum, so wurde für ‚Kadga‘ nach dem Vornamen des Kadgamala Gründers Geert Lemmens die Waffe ‚Speer‘ (germanisch = Ger2) gewählt.
Der zweite Teil ‚Mala‘ vervollständigt – zu ‚Kadga‘ hinzugefügt – die Bedeutung ‚treffender Speer‘. Sehen Sie, im Sanskrit haben Wörter nicht nur eine Bedeutung, sie bezeichnen auch den Klang oder geben diesen wieder. Das Wort ‚Kadgamala‘ bedeutet also: ‚treffender Speer, ‚dynamischer Speer oder ‚Speer in Bewegung‘.
Nun zum dritten Teil, dem ‚Marg‘. ‚Marg‘ bedeutet Weg, Geist, Pfad oder auch Methode, ähnlich wie das japanische Wort ‚Do‘. Daher ist der vollständige Ausdruck: Kadgamala Marg – der Weg des fliegenden, treffenden Speeres.“
1 In der ursprünglichen Fassung „Speer“. Mit Genehmigung Arun Achappas wurde Speer durch Waffe ersetzt, was der eigentlichen Bedeutung von Kadga im Sanskrit am nächsten kommt.
2 Dieser Absatz wurde nachträglich durch den Autor mit Genehmigung Arun Achappas eingefügt.
DAS KADGAMALA STILEMBLEM
Der Kadgamala Schüler trägt das Emblem auf seinem linken Oberarm. Es ist sein ständiger Begleiter und seine stete Erinnerung an dessen Bedeutung: Der Kadgamalaka ist Kampfkünstler, der seine Persönlichkeit unter ethisch, moralisch und humanistischen Normen schult und seinen Charakter durch den Kampfkunstunterricht und persönlichen Herausforderungen schärft.
Das Stilabzeichen enthält folgende Elemente: das ägyptische Ankh, das Yin Yang Symbol, zwei Flügel, einen Kreis und den Stilnamen. Das Ankh – auch Lebensschleife – symbolisiert den fliegenden, treffenden Speer und bildet das Zentrum des Kadgamala-Stil-Emblems. Dieser trifft durch das Yin Yang Symbol und hält die Kräfte im Gleichgewicht. Er sorgt für Harmonie. Der Speer symbolisiert Zielorientiertheit und Stärke. Stärke als Gegensatz von Schwäche, welche der Ursprung allen Übels ist. Umgeben wird der das Yin Yang Symbol und der treffende Speer von roten Flügeln. Sie verleihen dem Speer die Flugkraft, die ihn zu seinem Ziel führen. Die Flügel gelten als Symbol der Freiheit, der Offenheit und des freien, beweglichen Geistes. Umgeben wird das Abzeichen von einem Kreis, der das Gesamtbild des Emblems umschließt und an den ewigen Kreislauf der Entwicklung aller Dinge erinnert. Er symbolisiert die Einheit, den Zusammenhalt, die Loyalität und die Integrität des Kadgamalaka. Beschmückt ist das Emlem mit Sternen als Verzierung.